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„Russendiss & Co.“ – Kritik Schülerkabarettensemble

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Ei-n-fälle Cottbus - Foto Beate Moeller ©2015 BonMoT-Berlin 01Schülerkabarettensemble der Deutschen Schülerakademie 2014:

von Gilles Chevalier

Cottbus – Tilman Lucke nennt es schlicht „Nerd Camp“. Da treffen sich in den Sommerferien 15 Schülerinnen und Schüler aus ganz Deutschland, um mehr über Kabarett und Satire zu erfahren. Die jungen Leute lassen sich von den Jung-Kabarettisten Martin Valenske und Tilman Lucke in Theorie und Geschichte des Kabaretts einführen. Gemeinsam schreiben sie an Nummern und inszenieren ein ganzes Programm.

Das Ergebnis zeigen sie nun schon zum zweiten Mal bei den Ei(n)fällen, dem Kabaretttreffen der Studiosi in Cottbus. Die Ei(n)fälle gibt es seit 1996 – zu diesem Zeitpunkt war noch keiner der Oberstufenschüler geboren. Das spielt aber keine Rolle. Mit ihrem Programm „Russendiss & Co.“, einer aktuellen Übersicht des Zeitgeschehens, begeistern sie die Kolleginnen und Kollegen der älteren Semester.

Solistische Textvorträge sind ebenso vertreten wie Sketche mit mehreren Darstellern und musikalische Einlagen. Angenehm auch, dass keine Nummer zu lang geraten ist. Und, dass ungewöhnliche Ideen realisiert wurden. Zum Beispiel, wenn sich je ein Vertreter Russlands und der USA in einer Art Battle-Rap gegenseitig schlecht machen: Die Einen sind Sexisten und betreiben ganz offen Wahlfälschung, während die Anderen sich gegen das Nachbarland im Süden extrem abschotten und mit ihren Drohnen Menschen töten. Fazit: Beide haben Dreck am Stecken und können dem Gegenüber nicht wirklich mit einer sauberen Weste entgegentreten.

Ei-n-fälle Cottbus - Foto Beate Moeller ©2015 BonMoT-Berlin 006aOder wenn sich die „Demokratische Separatisten Allianz“ trifft. Da sitzen Vertreter der Volksrepublik Donezk, Bayerns, Schottlands und Kurdistans an einem Tisch und wollen voneinander lernen, wie das am besten klappt mit dem Separieren. Die Vertreterin Schottlands lauscht dann in ihrem Schottenrock dem bayerischen Gesandten, der die „Horstitutionelle Monarchie“ erklärt.

Oder das Solo, in dem der Forderung unseres „präsidialen Pastors“ nach dem Übernehmen von mehr Verantwortung ins Gericht gegangen wird. Das passiert ganz sachlich und mit Fakten. Emotionen sind auch gar nicht nötig, wenn man sich die deutsche Beteiligung an diversen Einsätzen im Ausland ansieht. Zum Teil ist nur ein knappes Dutzend deutscher Soldaten daran beteiligt – und das arbeitet tausende Kilometer vom Krisengebiet entfernt! Spannend, dieses in vielen Kabarettprogrammen behandelte Thema einmal aus einer anderen Perspektive serviert zu bekommen!

Vor Religionsbetrachtungen machen die Schüler auch keinen Halt. Da ist das Solo, das eine Papst-Äußerung aufs Korn nimmt. Benedikt sagte etwa, wenn jemand meine Mutter beleidigt, ist es doch ganz klar, dass ich ihm eins auf die Glocke gebe! Conclusio des Solisten: „Hauptschulschläger sind keine Idioten – die sind alle erzkatholisch!“ Auch die Schwierigkeiten bei einer Wiedergeburt im buddhistischen Glauben werden von den Schülern ausgiebig thematisiert.

Bitterböse dagegen die christliche Trauerrede auf Lampedusa. Da wird der ertrunkenen Flüchtlinge gedacht, die posthum die italienische Staatsbürgerschaft erhalten. So können sie jetzt in der gesamten Europäischen Union leben, arbeiten und studieren. Nutzen können sie das nicht mehr, denn wir sind ja bereits bei ihrer Trauerfeier und die Seebestattung hat längst stattgefunden.

Ei-n-fälle Cottbus - Foto Beate Moeller ©2015 BonMoT-Berlin 019Auch die Nummer um den Pharmareferenten Gockel ist nicht von schlechten Eltern. Im Gespräch mit einer Ärztin erklärt er sein Credo: „Bloß weil die meisten Menschen gesund sind, heißt das noch lange nicht, dass wir sie nicht behandeln können!“ Schließlich lässt sich jede Nebenwirkung durch ein neues Medikament in Schach halten. „Die besten Medikamente sin die mit Nebenwirkung.“ Auch hier spürt man, wie dicht die Texte an der Wirklichkeit sind. Dreifache Verfremdung Fehlanzeige – die Realität wird einfach gespiegelt und ein wenig konzentriert. Das ist das Geheimnis.

Am stärksten sind die Oberstufenschüler, wenn sie Themen aus ihrer Lebenswirklichkeit entnehmen. Mit der „Schule des glücklichen Volkes“ in Nord-Korea gibt es einen Schüleraustausch – diätetische Ernährung inbegriffen. Und die Vision des iHome, eines elektronisch regulierten Hauses, ist auch keine Option. „Gebrannte Musik kommt mir nicht ins Haus“, erklärt die elektronische Stimme, nachdem sie den Zeitpunkt der Bettruhe bestimmt hat. Sie ist nicht besser als die Eltern aus alten Tagen mit ihren strikten Regeln! Wobei Eltern noch den Vorteil haben, wesentlich seltener abzustürzen und nicht Error 404 melden.

Ohne Eltern fand bestimmt die Party in der Geschäftsstelle der Jungen Union statt. „Sexy and JU know it!“ Dort wachen zwei Übriggebliebene mit ordentlichem Filmriss auf. Erinnern können sie sich an nichts, aber das eine Papier und das andere Handy-Foto lassen auf eine ungehemmte Feier schließen. Macht nichts! Auf geht’s zur AfD-Party mit dem Motto: „Saufen bis wir griechen! – Eintritt eine Mark (sic!).“

Das Schülerkabarettensemble 2014 war nah an der Wirklichkeit und hat sich nicht den Schneid abkaufen lassen. Die Texte voller kleiner Boshaftigkeiten, die nur bei genauem Hinhören ihre volle Schärfe entfalten. Ein schöner Jahrgang, den man gern in einem der vielen studentischen Kabaretts bei den Ei(n)fällen in Cottbus wieder begrüßen möchte.

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Fotos: Beate Moeller
© 2015 BonMot-Berlin Ltd.



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