Premiere im Tipi am Kanzleramt: Désirée Nick zeigt uns ihre „Retro-Muschi“
von Axel Schock
BERLIN – Für Überraschungen hat Désirée Nick im Laufe ihrer Karriere freilich immer wieder mal gesorgt. Mit zotig-schamlosen Witzen, wie man sie bis dahin nur von Drag Queens kannte, eroberte sie zunächst vor allem in der Schwulenszene ein dankbares Publikum; mit rücksichtslosem Promi-Bashing fand sie dann ein neues, auch schlagzeilenträchtiges Betätigungsfeld.
Es irritierte dann umso mehr, dass sie sich nicht nur in den intellektuellen Untiefen des „Dschungelcamps“, sondern auch in deutschen Adelskreisen bestens auskennt und dass sie über theologische Grundsatzfragen gleichermaßen fundiert streiten kann wie über den Anti-Feminismus einer Eva Hermann („Eva go home“).
Ohnehin schien die alleinerziehende Mutter als Buchautorin mehr und mehr zur Fürsprecherin ihrer Generationskolleginnen zu werden, denen sie in ihren Büchern mitfühlend und mitleidend mit satirischem Empowerment durch das Klimakterium und die übersteigerten Anforderungen an die heutige Weiblichkeit hilft.
Von ihrem jüngsten Überlebensratgeber „Neues von der Arschterrasse“ haben sich allerdings nur wenige Sätze ins neue Bühnenprogramm geschlichen, insbesondere der aufbrausende Rundumschlag gegen schwule Couturiers. Die nämlich, so Nicks Befund, haben erklärtermaßen keine Ahnung von weiblicher Anatomie – mit der Folge, dass Frauen sich nun in völlig unbequeme Fummel zwängen müssen.
Die erste Überraschung am Premierenabend gelang Nick schon mit ihrem Outfit. Vom blonden Gossen-Vamp hatte sich die Entertainerin in den zurückliegenden Jahren peu à peu zur mondänen Prada-Lady hochgearbeitet. Im Tipi am Kanzleramt präsentiert sie sich nun ihrem Publikum allerdings mit schwarzer Langhaarperücke und enganliegenden Leder-Latex-Kostüm als eine Mischung aus Cher, S/M-Domina mit einem Hauch Anna Netrebko. Die Operndiva scheint denn auch zunächst zur neuen Hauptzielscheibe des Nick‘schen Spotts zu werden. Eigentlich eine schöne wie naheliegende Idee, der erklärten Putin-Freundin in Zeiten der Ukraine-Krise und russischer anti-homosexueller Gesetze kabarettistisch den Marsch zu blasen.
Désirée Nick widmet ihr zwar ein pseudo-russisches Lied – vorgetragen wie gewohnt in schiefliegendem Soubrettenton – das Frappierende aber: Nick fallen lediglich sexistische, pseudo-russische Wortspiele ein. An einer tiefergehenden Beschäftigung mit der politischen Rolle der Diva ist sie überhaupt nicht interessiert. Die derbe Tonlage und der Brachialhumor, die Nick hier anschlägt, bestimmen denn auch den Rest der Show. Dessen Titel „Retro-Muschi“ ist also keineswegs nur ein Werbegag, sondern steht tatsächlich für diesen alles andere als kindertauglichen Abend.
Es ist eine Art Humor, für den es vielleicht noch keinen Gattungsbegriff gibt. Versuchen wir es mit einer Umschreibung: Pubertierende Jungs haben ja gerne die Angewohnheit, im ersten Überschwang der Hormone und im Drang zur Regelverletzung kichernd und mit roten Ohren kleine Schweinereien in die Runde zu rufen und sich dabei wahnsinnig mutig zu fühlen. Désirée Nick gibt hier nun eine weibliche und postpubertäre (erwachsen will man das nicht nennen) Variante.
Nick will partout provozieren und mit permanenten humoristischen Tiefschlägen rund um Muschi, Mumu, Schamhaarrasur, Analbleaching und Quickies im Tiergarten das Publikum verstören. Das Problem ist nur: Auch detaillierte Beschreibungen von Oralsex mit überdimensionierten Penissen oder das Lamento über zu wenig Geschlechtsverkehr im Alter taugen nur noch bedingt zum Tabubruch. Und irgendwann erschöpft sich diese hochtourige Sexsuada, weil sie eben nur an der Oberfläche surft. Wirklich mutig wäre es gewesen, wenn Désirée Nick tatsächlich die Gelegenheit ergriffen hätte, sich ernsthaft mit sexuellen Bedürfnissen, sexueller Lebenswirklichkeit sowie falschen und vermeintlichen Tabus zu beschäftigen. Wer, wenn nicht sie, hätte dies glaubwürdig und zugleich mit Verve und Witz tun können?
Verstörend wird der Abend hingegen, wenn man manche ihrer Witze tatsächlich ernster nimmt. Sich mit ihrer schwulen Fangemeinde über Insiderwitze zu verbrüdern und zu kommunizieren, ist längst zum Standard der Nick-Shows geworden. Nun aber wird die schwule Community in einem Atemzug vereinnahmt und zugleich für derbe Pointen auch wieder der Lächerlichkeit preisgegeben, und zwar mit solch klischeebeladenen und rüden Geschichten, dass man diese eigentlich nur reaktionär und homophob bezeichnen mag.
Nach zwei Stunden Lebensansichten in grober Holzschnitttechnik liefert Nick dann mit ihrer alles andere als uneitlen Danksagungsrede noch eine letzte Überraschung. Die Show sei nur deshalb so luftig, leicht und wie dahingeplaudert geworden, sagt Nick, weil sie nun mal die schwere Kunst der Unterhaltung so gut beherrsche. Diese „Retro-Muschi“ ist wahrlich ein sehr großes Missverständnis.
© 2014 BonMoT-Berlin
Fotos: Oliver Fantitsch / Joerg Eschenburg (1), Jan Wirdeier (2, 3)
zur Verfügung gestellt vom Tipi am Kanzleramt
nächste Termine:
noch bis 1. Juni 2014 im Tipi am Kanzleramt
Vorstellungen: Mo-Sa 20 Uhr, So 19 Uhr,
Karten von 24,50 bis 34,50 Euro,
Kartentelefon: 030-390 66 550
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Homepage Tipi am Kanzleramt – Homepage Désirée Nick
