Olaf Michael Ostertag: „Geradezu pervers normal“
BERLIN (gc) – Von einem Newcomer kann man bei Olaf Michael Ostertag nun wirklich nicht sprechen: Seit 25 Jahren steht der Mann auf der Kabarettbühne – allerdings mit größeren Pausen, um Zeit für andere Aktivitäten zu haben.
Ein gutes Jahr hat er sich Zeit genommen, um sein Programm „Geradezu pervers normal“ einer Generalüberholung zu unterziehen. Am 28. September hat er es im Berliner Zimmertheater Karlshorst vorgestellt.
Um es vorweg zu nehmen: Die Revision ist gelungen! Zusammen mit dem Pianisten Pedro Boogie gestaltet Olaf Michael Ostertag einen unterhaltsamen Kabarettabend. Er bleibt dabei dicht am Programmtitel: Was ist normal, was ist pervers und wer bestimmt das? Ostertag weiß, dass gesellschaftliche oder moralische Normen nichts Absolutes sind. Früher war es undenkbar, in jeder Lebenslage telefonisch erreichbar zu sein. Heutzutage ist es eher ungewöhnlich, eine Zeitlang nicht erreichbar zu sein.
Die übermäßige Nutzung sozialer Netzwerke und die völlige Umdeutung des Begriffs „Privatsphäre“ beschäftigen ihn vor allem im zweiten Teil des Abends. Er will sein Loblied auf die Individualität möglichst lange und laut weitersingen.
Das schafft er, weil er den erhobenen Zeigefinger nur auf der Werbepostkarte und nicht auf der Bühne streckt. Häufig sucht Ostertag das Einverständnis mit den Zuschauern. Dann gibt er pointierte Antworten auf rhetorische Fragen, um sich und das Publikum auf dem gleichen Wissensstand wiederzutreffen. Von Dozententum keine Spur!
Im Mittelpunkt des ersten Teils von „Geradezu pervers normal“ steht die Finanzkrise: Wer ist Schuld, wie kommen wir da wieder raus? Es ist fast ein BWL-Schnellkurs, den Ostertag da gestaltet, anspruchsvoll und mit einer gehörigen Portion Wut im Bauch stellt er fest: „Derivate sind finanzielle Massenvernichtungswaffen“, und „Europa verliert derzeit so viel Geld – es ist kein Kontinent mehr, sondern ein Inkontinent!“ Mit einer Matroschka, einer russischen Holzpuppe, in die er immer wieder eine kleinere Puppe steckt, erklärt er, wie man den Kern einer Finanzanlage aufbläst und hochrechnet. Anschaulich alles in allem, nur manchmal sind einzelne Nummern zu lang.
Ein Glück, dass Chansons den Abend immer wieder auflockern. Zwar sind sie im zweiten Teil des Abends deutlich unterrepräsentiert. In der ersten Hälfte sind sie dafür um so erfrischender, etwa wenn Ostertag die „Gefahr im Anzug“ wittert und damit meint, jeder bankenbesoldetete Anzugträger stelle eine Gefahr für Finanzen und Volkswirtschaften dar.
Oder wenn er das Schunkellied „Im Grunde ist gar nichts passiert“ schmettert, in dem alle möglichen Formen persönlicher Katastrophen relativiert werden. Es könnte zum Resümee einer Kanzlerschaft werden!
Übrigens, Tagesaktuelles sucht man in „Geradezu pervers normal“ vergebens. Die SPD-Politiker Steinbrück und Beck sowie der Berliner Innensenator Henkel hätten gerade dieser Tage so schöne Vorlagen geliefert! Selbst die literarischen Ergüsse, deren erste Skizzen noch im Schloss Bellevue entstanden, fanden keinen Eingang ins Protokoll … – Schade, aber Olaf Michael Ostertag wird bestimmt nicht mit seinem letzten Programm aufgetreten sein.
Gilles Chevalier © 2012 BonMot-Berlin Ltd.
